Gisela Hachmann-Ruch

Künstlerstatement

Meine künstlerische Arbeit beginnt mit dem Sehen: Ich bin eine aufmerksame Beobachterin von Stadt und Land, von Strukturen, Fragmenten und Übergängen. Was ich finde – am Wegesrand, im urbanen Raum, in der Natur – wird fotografiert, gezeichnet, verglichen und neu zusammengesetzt. Diese Sehsplitter verdichte ich zu grafischen Kompositionen, die nicht abbilden, sondern andeuten. Sie sind Zeichen für das Gesehene, nicht dessen Kopie.

Ich arbeite bevorzugt mit Techniken der „Schwarzen Kunst“ – Zeichnung, Lithografie, Linolschnitt. Besonders der Linolschnitt hat sich für mich zu einem experimentellen Feld entwickelt, in dem sich grafische und malerische Elemente verbinden. Die Materialität der Platte, das Schneiden, das Herauslösen von Spänen – all das ist Teil eines prozesshaften Bildfindens. Die Formen werden auf ihren zeichenhaften Kern reduziert, das Nebensächliche weggeschnitten. Es entstehen Rasterfelder, die wie eine unbekannte Schrift wirken – suggestiv, rhythmisch, offen für Assoziationen.

Meine Arbeiten bewegen sich im Spannungsfeld von Konstruktion und Erinnerung, von Natur und Kultur. Sie sind keine Abbilder, sondern visuelle Vermessungen von Übergängen – wie zuletzt in der Ausstellung Topografien des Wandels. Ich verstehe Kunst als eine Form der Reflexion, die sich nicht in Narration erschöpft, sondern in der Struktur, im Zeichen, im Rhythmus Ausdruck findet. Die Bildfläche wird zum Denkraum, in dem sich Wahrnehmung und Interpretation begegnen.

Ein Leben für die Kunst

Gisela Hachmann-Ruchs künstlerisches Schaffen konzentriert sich auf die Bereiche Druckgrafik, Zeichnung und Kunst am Bau. Mit großer Leidenschaft und Beharrlichkeit hat sie über Jahrzehnte hinweg nicht nur ihr eigenes Werk entwickelt, sondern auch die künstlerische Infrastruktur in Heidelberg entscheidend mitgestaltet.

Als Mitglied der Künstlergruppe 79 war sie maßgeblich am Aufbau der Werkstätten für Druckgrafik beteiligt – einem Ort, der bis heute als Zentrum für experimentelle und professionelle Druckkunst gilt. Ebenso engagierte sie sich intensiv bei der Gründung des BBK Heidelberg, dem Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler, der die Interessen der Kunstschaffenden in der Region vertritt.

Heute steht sie an der Spitze dieser Institutionen: Gisela Hachmann-Ruch ist Vorsitzende des BBK Heidelberg sowie des Forums für Kunst, der Galerie der Künstlergruppe 79. Auch im Vorstand des Künstlerbundes Rhein-Neckar und im Vorstand des Landesverbandes Bildender Künstler Baden-Württemberg ist sie vertreten. In allen Rollen setzt sie sich mit großer Energie für die Förderung zeitgenössischer Kunst und die Sichtbarkeit regionaler Künstlerinnen und Künstler ein.

In den letzten Jahren hat sich Gisela Hachmann-Ruch intensiv einer Technik zugewandt, die unter ihren Händen eine ganz eigene, zeitgenössische Ausdrucksform gefunden hat: der Linolschnitt. Fernab von traditionellen, illustrativen oder volkstümlichen Hochdruckverfahren entwickelt sie eine Bildsprache, die sich durch formale Klarheit und farbliche Tiefe auszeichnet.

Der Linolschnitt wird bei ihr zum experimentellen Spielfeld für Formen und Farben. In einem mehrschichtigen Druckprozess entstehen lasurartige Farbebenen, die sich überlagern und fast malerisch wirken. Dabei verschmelzen grafische und malerische Elemente zu einer Einheit, die durch Reduktion und Konzentration besticht: Formen werden auf ihren zeichenhaften Kern verdichtet, das Nebensächliche konsequent ausgeblendet.

So entsteht eine visuelle Sprache, die nicht nur technisch beeindruckt, sondern auch inhaltlich berührt – eine Kunst, die Raum für Interpretation lässt und zugleich eine klare Haltung vermittelt.

Topografien des Wandels

Die Materialität der Linolplatte spielt eine zentrale Rolle in Gisela Hachmann-Ruchs künstlerischem Prozess. Sie versteht das Medium nicht als bloßes Werkzeug, sondern als aktiven Partner in der Bildfindung. Diese entsteht nicht im Voraus, sondern entwickelt sich schrittweise im Druckprozess – intuitiv, tastend, reagierend.

Jede Phase des Drucks bringt neue Impulse, jede Farbschicht verändert die Wirkung der vorherigen. So entsteht ein dialogischer Prozess zwischen Idee, Material und Technik, bei dem sich das endgültige Bild erst allmählich herausbildet. Die Linolplatte wird dabei nicht nur Träger, sondern auch Gestalterin der künstlerischen Aussage.

Innen-Raum

Die Grafik „Innen-Raum“ aus dem Jahr 2024, erschienen in einer kleinen Auflage von nur drei Exemplaren, ist ein eindrucksvolles Beispiel für Gisela Hachmann-Ruchs künstlerische Reduktionsstrategie. Ausgangspunkt war ein fotografischer Ausschnitt, der im Druckprozess zu einem abstrakten Raumgefüge aus horizontalen und vertikalen Elementen transformiert wurde.

Die Tiefe des Schwarz bildet die Grundlage, überlagert von fein abgestuften Grau- und Grüntönen, die sich schrittweise von Dunkel nach Hell entfalten. Diese lasurartige Farbgebung erzeugt eine fast malerische Wirkung und verleiht dem Bild eine atmosphärische Dichte.

Die Möglichkeit der Vervielfältigung spielt in diesem Werk eine untergeordnete Rolle. Im Vordergrund steht das experimentelle Zusammenspiel unterschiedlicher Druckstöcke und die Variation der Farbgebung, wodurch sich immer neue gestalterische Konstellationen eröffnen. So wird jedes Exemplar zu einer eigenständigen Interpretation des Motivs – Ausdruck eines offenen, prozesshaften Kunstverständnisses.


Titel: „Innen – Raum“
Auflage: 3

Linolschnitt auf Hahnemühle -Bütten | 73 x 53 cm
Preis 2024: 840,00 €

Biografisches

Geb. 10.04.1947 in Lahr

1966 – 72 Studium an der Staatl. Akademie der Bildenden Künste Karlsruhe
1969 – 73 Studium der Kunstwissenschaft an der UniversitätKarlsruhe
seit 1990 Vorstandsmitglied im Landesverband Bildender Künstler Baden-Württemberg
seit 1985 Vorstandsmitglied im Künstlerbund Rhein-Neckar e.V,
seit 2003 Vorsitzende des Heidelberger Forums für Kunst und des BBK

Ausstellungen (Auswahl)

2020 Linolschnittserien, Stadtbücherei Heidelberg (E)
2010 Retrospektive, Kurpfälzisches Museum Heidelberg (E), (K)
2004 Zeit-Zeichen, Maison de Heidelberg, Montpellier (E)
1995 Willibald – Kramm – Preis, Heidelberg, Sole d’Oro (E)
1981 Aspekte von Zeichnung, Kunstverein Heidelberg (E), (K)

Preise/Auszeichnungen

2000 Preisträgerin Kunst am Bau für das Auswärtige Amt Berlin
1995 Willibald – Ktamm – Preis Heidelberg
1991 Preisträgerin Kunst am Bau, Musikhochschule Mannheim
1989 1.Preis beim Kunstwettbewerb „Stahlgerüstbau“, Mannheim

Stipendien

1995 Arbeitsaufenthalt im Masereel-Zentrum, Antwerpen

Arbeiten in öffentlichem Besitz

Land Baden-Württemberg, Staat. Grafiksammlung Bayern, Kurpfälzisches Museum Heidelberg, Stadt Heidelberg, Stadt Mannheim, Stadt Walldorf, Ministerium für wirtschaftl. Zusammenarbeit und Entwicklung, Deutscher Bundestag, Deutsches Arbeitsschutzmuseum Dortmund, Stadt Neckargemünd